Gondelbahn Reigoldswil - Wasserfallen LRW

 

Alte Gondelbahn abgebrochen. Neuanlage seit September 2006 in Betrieb.

 
Kenner der schweizerischen Eisenbahngeschichte verstehen unter dem Begriff "Wasserfallenbahn" in erster Linie die von der ehemaligen Schweizerischen Centralbahn projektierte und im Jahre 1873 konzessionierte direkte Eisenbahnverbindung Basel-Bern-Westschweiz, wobei ein 4,2 km langer Tunnel unter dem Wasserfallengebiet das Herzstück der Strecke dargestellt hätte. Die Bauarbeiten an diesem Durchstich wurden im Herbst 1874 am Südportal in Mümliswil (Kanton Solothurn) wie auch am Nordportal in Reigoldswil (Kanton Basel Land) zwar aufgenommen, doch zeigte sich bald, dass die ausführende deutsche Baufirma technisch wie auch finanziell die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchführung des Projektes nicht aufbringen konnte. Nach dem unweigerlichen Konkurs der Firma wurden die Bauarbeiten im September 1875 eingestellt und die einsetzende Krise im Bahnbau verhinderte eine Wiederaufnahme jeglicher Aktivitäten am geplanten Basistunnel. Zwar bemühten sich Initiativkomitees 1898 und 1907 erneut um Konzessionen für eine Wasserfallen-Eisenbahn, doch liessen die Pläne, die benachbarte Hauensteinlinie als wichtiger Zubringer für den Gotthard mit einem Basistunnel aufzuwerten, das Wasserfallenprojekt endgültig in der Versenkung verschwinden. Von den Arbeiten am Wasserfallentunnel zeugen heute noch die Überreste des Stollens, der unmittelbar bei der heutigen Talstation der Gondelbahn vorangetrieben wurde.

Nach diesen erfolglosen Bemühungen zum Bau einer Verkehrsverbindung im Reigoldswiler Tal entstand aber bereits 19o4 auf Initiative der Talbevölkerung die erste konzessionierte Autolinie der Schweiz und etwas mehr als 50 Jahre später die Gondelbahn Reigoldswil - Wasserfallen. Das Konzessionsgesuch für diese Seilbahn wurde am 12. Mai 1953 von der Autobus AG Liestal (AAGL) dem Eidgenössischen Post- und Eisenbahndepartement eingereicht. Konkurrenz erwachte dem Gondelbahnprojekt von Waldenburg aus, wo eine Drahtseilbahn hinauf zur Waldweide geplant wurde. Da aber eine Wasserfallenbahn mehr Möglichkeiten bot und zudem die Lage der Transporteinrichtung günstiger beurteilt wurde, erhielt das Projekt der Autobus AG den Vorzug, was am 31. Dezember 1953 mit der Erteilung der Konzession bestätigt wurde.

Der Auftrag zum Bau des seilbahntechnischen Teils der Anlage wurde der Firma Gerhard Müller aus Dietlikon (ZH) übertragen, die mit der Wasserfallenbahn ihre dritte Gondelbahn nach ihrem eigenen System in der Schweiz verwirklichen konnte. Der Bau dieser Bahn führte aber zu Differenzen zwischen der AAGL, Landeigentümern, Nachbarn und den ausführenden Baufirmen, was das junge Bergbahnunternehmen noch in seinen ersten Betriebsjahren zu spüren bekam. 1957 verübten Unbekannte in der Bergstation einen Brandanschlag, der Sachschaden zur Folge hatte und den Bahnbetrieb für zwei Tage lahm legte, und am 14. Januar 1958 wurde -offenbar von Fachleuten- gleich eine komplette Stütze abmontiert und entfernt, was erneut einen Unterbruch des Betriebes mit sich zog. Ein etwas dubioser Vorfall, der zu Spekulationen verleitete, geschah 1959: In einer Gondel, die er alleine zur Talfahrt bereitgestellt hatte, verunglückte der Vizepräsident des Verwaltungsrates der AAGL tödlich. Glücklicherweise war dies aber bis heute der einzige schwere Zwischenfall auf der Gondelbahn, die jedes Jahr zwischen 80'000 und 100'000 Personen transportiert.

Ende 1995 lief die Betriebsbewilligung für die Gondelbahn aus und ein Weiterbetrieb derselben wurde an zahlreiche Sicherheitsauflagen geknüpft. So forderte das Bundesamt für Verkehr (BAV) anfänglich einen Umbau der Bahn auf vollautomatischen Betrieb, was aber die Möglichkeiten der AAGL als Besitzerin bei weitem überstiegen und wahrscheinlich eine Stilllegung der Bahn zur Folge gehabt hätte. Doch die Beamten des BAV zeigten sich gesprächsbereit und so konnte ein Kompromiss ausgehandelt werden. Obwohl die Forderung nach einem vollautomatischen Betrieb fallengelassen wurde, kamen die Sanierungsarbeiten noch gegen zwei Mio. Franken zu stehen. Die Firma Garaventa wurde mit folgenden Arbeiten beauftragt: Montage von neuen Bremsen am Antrieb und an der Antriebsscheibe; Installation eines neuen hydrostatischen Notantriebes; Einbau von Beschleunigern und Verzögerern, welche die Ein- und Ausfahrtsrampen erfassen; Prüfung der Gehänge und Klemmen; Prüfung und Sanierung der Stützen; div. Anpassungen bei den Seilfängern und Rollenbatterien sowie allg. Sanierungsarbeiten. Trotz dieser unfangreichen Modernisierungsmassnahmen präsentiert sich die Gondelbahn auch heute noch weitgehend in ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild.

Im Jahre 1994 wurde im Zusammenhang mit der Bahnsanierung zwecks Sicherung des Fortbestandes die Gondelbahn einer neu gegründeten Stiftung geschenkt. Diese Stiftung ist verantwortlich für die Finanzierung und den Unterhalt der Bahn und wird von den Kantonen Basel Land, Basel Stadt, zahlreichen Gemeinden und von Einzelpersonen getragen. Der Betrieb der Bahn wurde der AAGL übertragen. Eine weitere Organisation, die sich für einen Erhalt der Wasserfallenbahn einsetzt und eng mit der Stiftung zusammenarbeitet, ist der Gondelbahnclub LRW. Der in weiten Teilen der Bevölkerung verankerte Verein unterstützt die Stiftung bei Aktionen und hilft ihr bei der Beschaffung von finanziellen Mitteln. Diese Organisationen dürften in der Zukunft noch stark gefordert sein, steht doch 2006 ein totaler Neubau der Gondelbahn an, da die jetztige Müller-Anlage das Ende ihrer Lebenszeit erreicht hat. Geplant ist wiederum eine kuppelbare Kabinen-Umlaufbahn, neu aber mit 6er-Gondeln, die die Transportkapazität der Anlage zusammen mit einer höheren Fahrgeschwindigkeit auf 600 Pers./h verdoppeln werden. Mit dem Abbruch der alten Müller-Gondelbahn wurde am 18. April 2006 begonnen und die Eröffnung der neuen 6er-Gondelbahn ist für den 30. September 2006 vorgesehen.

Durch den Neubau der Wasserfallenbahn verschwand einmal mehr ein technisch wie auch ein historisch wertvoller Zeuge einer einst erfolgreichen Schweizer Seilbahnindustrie. Das gleiche Schicksal ereilte leider auch die Kabinenbahn Emmetten-Stockhütte, so dass es in der Schweiz heute keine Müller-Gondelbahnen in originalem Zustand mehr gibt. 

Technische Daten der Gondelbahn Reigoldswil-Wasserfallen:

 Inbetriebnahme  2. März 1956
 Betriebseinstellung infolge Neubau  17. April 2006
 Erbaut durch  Gerhard Müller Dietlikon, GMD
 Bahnlänge  1933 m
 Höhe Talstation  544 m. ü. M.
 Höhe Bergstation  928 m. ü. M.
 Höhendifferenz  384 m
 Grösste Neigung  61,6 %
 Anzahl Zwischenstützen  12
 Grösste Spannweite  253 m
 ø Förderseil  29 mm
 Kabinen  36 à 4 Pers.
 Kabinenleergewicht  180 kg
 Fahrgeschwindigkeit  2,3 m/sec.
 Fahrzeit  15 Min.
 Förderleistung  320 Pers./h

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Abb. 1: Das einfache, aber sehr gefällige Gebäude der Talstation. Abb. 2-4: Innenansichten der Talstation. Das gelbe Gerüst mit der Umlenkscheibe ist auf im Boden eingelassenen Schienen verschiebbar gelagert und wird gegen hinten über einen mehrfachen Flaschenzug abgespannt. So lassen sich die im Betrieb varierenden Belastungen des Förderseiles ausgleichen. Abb. 5: Kuppelapparat einer Gondel. Gut sichtbar sind die rot markierten Zahnräder der zwei Schraubenklemmen, die zwecks Kurvengängigkeit gelenkig mit dem Mittelteil verbunden sind. Abb. 6: Ein- und Ausfahrbereich der Talstation. Die Leitplanken am Boden dienen zur Führung der Kabinen während des An- und Abkuppelns.

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Abb. 7: Ausfahrende Kabine aus der Talstation. Abb. 8: Blick aus der Talstation gegen die Stütze Nr.1. Abb. 9: Stütze Nr.1 nach dem ersten kurzen Steilstück. Abb. 10+11: Eingebettet in üppigem Grün hat die erste Hälfte der Strecke nur mässige Steigung. Die Kabinen der Wasserfallenbahn werden zwecks Geldmittelbeschaffung für das Sponsoring herangezogen, wobei Firmen und Institutionen einen Werbeaufdruck nach ihren Wünschen anbringen lassen können. Abb. 12: Beim Mast Nr.5 begegnen wir der letzten Kabine, die immer noch mit Köchern für den Skitransport ausgerüstet ist.

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Abb. 13: Wir befinden uns hier immer noch auf dem unteren, flacheren Streckenabschnitt, bevor die Bahn in den Wald eintaucht. Abb. 14: Blick gegen das Schelmenloch mit dem anschliessenden Steilstück. Der zweite Teil der Strecke ist wesentlich "gebirgiger" als der erste. Abb. 15: Mast Nr.6 in der Gegend des Schelmenloch. Abb. 16: Niederhaltestütze im Schelmenloch. Ab hier geht es steil bergauf im grössten freien Spannfeld von 253 Metern. Abb. 17: Neben der grössten Spannweite wird in diesem Steilstück auch die grösste Neigung von 61,6% erreicht. Es öffnet sich der Blick ins Reigoldswiler Tal. Abb. 18+19: Von diesem Fotostandort aus geniesst man eine schöne Aussicht ins Reigoldswiler Tal. Hier überquert die Gondelbahn ein Strässchen, wobei sich eine sehr geringe Durchfahrtshöhe führ Strassenfahrzeuge ergibt.

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Abb. 20: Ein Strassenschild warnt vor den speziellen Verhältnissen bei der Kreuzung der ungleichen Verkehrsträger. Abb. 21-24: Die Stützen Nr.10 und 11 folgen kurz nacheinander und das letzte Streckenstück vor der Bergstation wird allmählich flacher. Abb. 25+26: Der letzte Mast ist erreicht und nun gehts fast horizontal gegen die Bergstation zu.

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Abb. 27: Ansicht der Bergstation. Im Hintergrund sind die Hänge des Vogelberges zu erkennen, die früher einmal durch einen Skilift erschlossen waren und nach dem Neubau der Gondelbahn mit der geplanten zweiten Sektion erneut wieder zu erreichen wären. Abb. 28: Blick aus der Bergstation mit talwärts fahrender Gondel. Abb. 29+30: Im Innern der Bergstation (Einfahrseite). Nach dem Abkuppeln vom Förderseil werden die Kabinen von Hand weiter bewegt. Abb. 31: Antriebseinheit mit zur Talfahrt bereitstehenden Gondeln.

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Abb. 32: Die noch bestehende Talstation des einstigen Vogelberg-Skiliftes. Dieser am 18. Februar 1956 eröffnete Lift wurde ebenfalls durch die Firma Müller aus Dietlikon erbaut. Auf Grund von Finanzierungsproblemen, die eine anstehende Sanierung verursachte, musste der Betrieb 1993 eingestellt werden. Abb. 33: Und auch der vor Weihnachten 1969 in Betrieb genommene Skilift Chellenchöpfli bei der Gondelbahn-Bergstation existiert heute nicht mehr. Von diesem kürzeren Lift übrig geblieben ist lediglich das Kassahäuschen.

Alle Fotos: C. Gentil


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