Zweiseil-Gondelbahnen System Wallmannsberger
Die Gondelbahnen nach dem System des österreichischen Seilbahningenieurs Georg Wallmannsberger aus Salzburg gehören zur ersten Generation von Kabinenbahnen mit Umlaufbetrieb. Sie wurden eingeführt, weil die klassischen Luftseilbahnen im Verhältnis zu ihren Förderleistungen zu kostspielig im Bau waren und angesichts des immer stärker aufkommenden Wintertourismus nach neuen, komfortableren und leistungsfähigeren Transportanlagen verlangt wurde. Wallmannsberger verwendete bei seiner Konstruktion das Zweiseilsystem, genannt "Deutsches System", welches bereits im späten 19. Jahrhundert bei kuppelbaren Güterseilbahnen erfolgreich zur Anwendung kam. Damit konnte er die Vorteile der Luftseilbahn mit denen der kuppelbaren Sesselbahn verbinden: Geschlossene Kabinen an unabhängigen Trag- und Zugseilen und hohe, variable Förderleistung durch ständigen Umlaufbetrieb, wobei die Kabinen im Stillstand besetzt und verlassen werden können. Zu diesem Zweck sind die Gondeln mit vierrolligen Laufwerken ausgerüstet, die im unteren Bereich des Laufwerkkörpers zwei Zugseilklemmen aufweisen. Diese werden durch ein einfaches und betriebsicheres Hebelwerk mit je vier Druckfedern von Steuerschienen an den Kuppelstellen in den Stationen betätigt. Jeder der beiden Klemmapparate ist in der Lage, die Kabine mit der vorgeschriebenen Sicherheit gegen Abrutschen auch an der steilsten Stelle der Strecke zu führen. Vor jeder Ausfahrt aus den Stationen wird die Klemmkraft überprüft, indem eine Waage den Druck der Steuerhebel abfühlt, damit Gondeln mit ungenügender Klemmkraft (z.B. nach einem Federbruch) vor der Ausfahrt gestoppt werden können. Ausserdem wird mit Hilfe eines Seilfühlers, der sich zwischen den zwei Klemmapparaten am Laufwerkgehäuse befindet, das korrekte Einlegen des Zugseils in die Klemmenmäuler überwacht. Das Beschleunigen der Kabinen bei der Stationsausfahrt geschah anfänglich entweder auf einer kurzen Gefällestrecke oder durch einen sog. Synchron-Accelerator, einer sinnreichen Einrichtung, welche die Wagen selbsttätig auf die genaue Geschwindigkeit des Zugseils brachte. Heutzutage übernehmen diese Aufgabe aber in der Regel die bewährten Pneuförderer, die sich allgemein durchgesetzt haben. Als weiteres Novum bei Seilbahnen erfand Wallmannsberger eine Rettungseinrichtung, die er gesetzlich schützen liess: Das Absenken der Tragseile. Im Falle einer blockierten Bahn lassen sich die Tragseile samt den Gondeln zwecks leichterer Personenbergung in Bodennähe absenken.
Abb.1: Prof. Dr. Georg Wallmannsberger, 1896 -1979. Abb.2: Schnittzeichnung vom Laufwerkskörper mit dem Klemmapparat. Abb.3: Ansicht der Versuchsanlage, die im Jahre 1947 auf dem Gelände der Wiener Brückenbau- und Eisenkonstruktions AG in Wien-Inzersdorf errichtet wurde. Abb.4: Die Vorderseite eines Kabinenlaufwerkes im Verkehrshaus Luzern. Zuoberst die vier Laufrollen, paarweise zusammengefasst. Diese zwei Rollenpaare sind nicht nur um die Quer-, sondern auch um die Hochachse drehbar gelagert, um die für die Stationsschienen geforderte Kurvengängigkeit zu gewährleisten. Unten am Laufwerkskörper angeordnet die zwei Klemmapparate mit den Abstützrollen. Zwischen den zwei Klemmen ist der Seilfühler zu erkennen, mit welchen die korrekte Lage des Zugseils überwacht wird. Abb.5: Dasselbe Laufwerk mit den Steuerhebeln der Klemmapparate von der Rückseite gesehen. Abb.6: Gesamtansicht einer Kabine der Pizolbahn mit ihrem Laufwerk. Auffällig der nachträglich montierte rote Dämpfer gegen Pendelbewegungen nach Stützenüberfahrten. Abb.7: Werbung der Firma Bell für Gondelbahnen am Beispiel Crans-Cry d' Er, 1951.
Die Schweizer Firma Theodor Bell in Kriens stand bereits vor dem Krieg mit Wallmannsberger in Verbindung, erwarb kurz danach die Lizenz für den Bau derartiger Anlagen und erstellte 1949/50 in Crans sur Sierre die erste Bahn dieser Bauart überhaupt. Bis 1966 baute Bell insgesamt sieben Gondelbahnen in der Schweiz und weitere vor allem in Übersee, wovon heute aber nur noch jene von Banff/Kanada in modernisierter Form in Betrieb steht. Die Firma Bell war aber nicht die alleinige Lizenznehmerin des Systems nach Wallmannsberger: In Österreich bauten die Wiener Brückenbau- und Eisenkonstruktions AG die Bahnen auf den Stubnerkogel in Bad Gastein und auf den Schöckel in St. Radegund bei Graz, die VÖEST (Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke Linz/Donau) die Grünbergbahn in Gmunden, und in Deutschland erstellte die Firma Fried. Krupp, Stahlbau Altbach/Neckar, die Brauneck-Gondelbahn von Lenggries. Einen Spezialfall stellen die zwei Bahnen dar, die in Italien gebaut wurden: Die Mailänder Firma Rosnati & Co. estellte ihre Anlagen nicht für den touristischen Personenverkehr, sondern lediglich für den werksinternen Material- und Personaltransport der dortigen Wasserkraftwerke. Das erklärt auch die geringe Förderleistung der beiden Werksbahnen von gerade mal 150 Personen pro Stunde. Die letzten zwei Anlagen der Bauart Wallmannsberger wurden in den Jahren 1972 und 1974 durch die Firma Waagner-Biro, Stahl- und Maschinenbau Ges.m.b.H., Wien, in Österreich errichtet. Für diese Hochleistungsbahnen wurde das bewährte Laufwerk weiterentwickelt und mit einer Vorrichtung zur Abziehkraftprüfung ausgerüstet. Die Lizenz für den patentierten "Laufwerksrahmen für kuppelbare Umlaufseilbahnen" erwarb die Firma Girak in Korneuburg, die dann auch die Laufwerke für die zwei letzt genannten Gondelbahnen lieferte. Weltweit wurden insgesamt 28 Teilstrecken der Gondelbahn nach dem System Wallmannsberger gebaut.
Übersicht über alle Gondelbahnen des Systems Wallmannsberger weltweit:
Anlage | Staat | Baujahr | Hersteller | Abbruch/Ersatz |
Crans - Cry d' Er I+II | CH | 1950 | Bell | 1976 |
Stubnerkogelbahn I+II, Badgastein | A | 1950 | Wiener Brückenbau- u. Eisenkonstruktions AG | 1987 |
Schöckelseilbahn, St. Radegund | A | 1951 | Wiener Brückenbau- u. Eisenkonstruktions AG | 1995 |
Bad Ragaz - Pardiel (Pizol) I+II | CH | 1953 | Bell | 2007 |
Kriens - Fräckmüntegg I+II | CH | 1954 | Bell | 1995/96 |
Brauneckbahn, Lenggries | D | 1957 | Friedr. Krupp Stahlbau, Altbach/Neckar | in Betrieb* |
Grünbergbahn Gmunden | A | 1957 | VÖEST, Linz | 2010 |
Celerina - Marguns | CH | 1958 | Bell | 1991 |
Banff - Sulphur Mts. | CAN | 1959 | Bell | in Betrieb |
Weissbrunn - Grünsee, Ulten | I | 1959 | Rosnati & Co., Milano | 1970 |
(Lungern) Turren - Schönbühl | CH | 1960 | Bell | 1999 |
Vail - Pass | USA | 1962 | Bell | 1980, 1985 |
Arosa - Hörnli | CH | 1963 | Bell | 1987 |
Nambrone - Cornisello | I | 1964 | Rosnati & Co., Milano | stillgelegt |
Grande Rochette, La Plagne | F | 1965 | Bell | 2000 |
Klosters - Madrisa | CH | 1965 | Bell | 2005 |
Mammoth - Mountains I+II | USA | 1966 | Bell | ? |
Mahogany Rock, Sparta | USA | 1968 | Bell | ? |
Vail-Lions Head, Colorado | USA | 1969 | Bell | ? |
Mt. Werner, Steamboat Springs | USA | 1970 | Bell | 1986 |
Stubaier Gletscherbahn I+II | A | 1972 | Waagner-Biro (Anlage) u. Girak (Laufwerke) | 1995 |
Rendlbahn, St. Anton a. A. | A | 1974 | Waagner-Biro u. Girak | 2009 |
* mit modifizierter Kuppeltechnik
Zusammenfassung aller schweizerischen Gondelbahnen nach Wallmannsberger, erbaut durch die Firma Bell in Kriens:
Gondelbahn | Inbetriebnahme | Betriebslänge | Sektionen | Ersatz |
Crans - Cry d' Er | 06. 05. 1950 | 1850 m | 1. Sektion | 1976 |
Crans - Cry d' Er | 06. 05. 1950 | 1315 m | 2. Sektion | 1976 |
Bad Ragaz - Pizol | 01. 01. 1954 | 1684 m | 1. Sektion | 2007 |
Bad Ragaz - Pizol | 01. 01. 1954 | 1811 m | 2. Sektion | 2007 |
Kriens - Fräkmüntegg | 23. 12. 1954 | 2158 m | 1. Sektion | 1995/96 |
Kriens - Fräkmüntegg | 23. 12. 1954 | 2810 m | 2. Sektion | 1995/96 |
Celerina - Saluver (Alp Marguns) | 14. 12. 1958 | 2302 m | 1991 | |
(Lungern) Turren - Schönbühl | 30. 12. 1960 | 2310 m | 1999 | |
Arosa - Hörnli | 24. 12. 1963 | 3087 m | 1987 | |
Klosters - Madrisa | 18. 02. 1966 | 2252 m | 2005 |
Nachdem die Madrisabahn Ende der Wintersaison 2004/05 ihren Betrieb eingestellt hat und während des Sommers 2005 in eine Einseilbahn umgebaut wurde, verblieb in der Schweiz mit der Pizolbahn von Bad Ragaz nur noch eine einzige Zweiseil-Gondelbahn des Systems Wallmannsberger, wobei aber auch bei dieser Bahn die Betriebsbewilligung am 9. April 2007 auslief. Mit dem Abbruch der Pizolbahn im Frühjahr 2007 verschwand in der Schweiz die letzte Bahn dieser Bauart. Rekordverdächtig und wohl auch einmalig war die Lebensdauer dieser Bergbahn: 53 Betriebsjahre!
Abb.8: Die erste Wallmannsberger-Gondelbahn, die gebaut wurde: Crans-Cry d' Er im Wallis. Die ersten Kabinen hatten stirnseitig noch keine Fenster und diejenigen auf der Seite waren unverglast. Abb.9: Gondelbahn Bad Ragaz-Pizol mit Blick ins St.Galler Rheintal. Abb.10: Kriensereggbahn am Pilatus. Mit 4968m Länge war sie die längste Wallmannsberger-Gondelbahn, die je gebaut wurde. Abb.11: Gondelbahn Celerina-Saluver im Engadin mit der Bergstation auf Alp Marguns. Abb.12: Gondelbahn Turren-Schönbühl am Brünigpass in der Innerschweiz. Abb.13: Hörnlibahn von Arosa mit Blick auf Innerarosa. Abb.14: Die letzte Zweiseil-Kabinenbahn, die Bell in der Schweiz baute: Gondelbahn Klosters-Madrisa.
Abb.15: Die erste Wallmannsberger-Gondelbahn Österreichs: Die zwei Sektionen umfassende Stubnerkogelbahn von Bad Gastein (Inbetriebnahme: 20.12.1950). Abb.16: Die Schöckelseilbahn von St. Radegund bei Graz in der Steiermark (Inbetriebnahme: 21. 3.1951). Abb.17: Die Grünberg-Seilbahn von Gmunden am Traunsee (A), in Betrieb seit dem 14. Sept. 1957, existiert auch heute noch in praktisch unverändertem Originalzustand, wird aber leider auf Ende der Sommersaison im Oktober 2010 abgebrochen.