Kuppelbare Einseil-Umlaufbahnen System Müller
Bei den kuppelbaren Sessel- und Gondelbahnen der Maschinenfabrik von Gerhard Müller aus Dietlikon (ZH) handelt es sich um Einseilbahnen mit Kuppelklemmen, die auf dem Schraubenprinzip beruhen. Bereits im Jahre 1874 kamen Schraubenspindel-Klemmapparate erstmals bei einer Gütertransportbahn des Österreichers Theobald Obach im slowenischen Hrastnigg zum Einsatz, was diese Bauart zum ältesten, selbständig arbeitenden Kuppelsystem machte. Obwohl sich dieses Prinzip bei Materialbahnen bewährte, war es für den Personentransport nicht sicher genug, da die Klemmkraft der nicht selbsthemmenden Schraubenspindeln nur durch das Gewicht des Kuppelhebels, der sich maximal um 120° verschwenken liess, aufrecht erhalten wurde. Gerhard Müller verwendete nun bei seiner Klemme selbsthemmende Gewinde an den Spindeln, die für den Kuppelvorgang mehrere Umdrehungen ausführen mussten. Und an die Stelle des Kuppelhebels trat ein Zahnrad, das während des Kuppelvorganges an einer kurzen Zahnstange abrollte und so die Klemme schloss. Das Entkuppeln geschah in gleicher Weise mit dem Unterschied, dass sich die Zahnstange nun auf der anderen Seite des Zahnrades befand, damit sich dieses in entgegengesetzter Richtung drehte und die Klemme wieder öffnete. Durch die geringe Gewindesteigung mit ihrer Selbsthemmung waren die geschlossenen Kupplungen am Seil verriegelt, so dass sich weitere Sicherungsmassnahmen gegen ein unbeabsichtigtes Öffnen erübrigten.
Abb.1: Gerhard Müller (1915 -1985), Konstrukteur der erfolgreichen Schraubenklemme und Inhaber der Firma GMD (Gerhard Müller Maschinenbau, Dietlikon). Abb.2: Zeichnung der ersten selbsttätigen Kuppelklemme der Welt von Theobald Obach, Wien. Aus dieser Ur-Konstruktion von 1874 wurde das Funktionsprinzip der Müller-Klemme abgeleitet. Abb.3: Schnittzeichnung der Müller' schen Schraubenklemme in der ursprünglichen Ausführung (Klemme 'A'). Abb.4: Firmenschild der Firma Gerhard Müller, Dietlikon.
Funktionsweise der Klemme (Abb.3):
Zum Ankuppeln an das Seil rollt das Fahrzeug auf der Stationsschiene 25 mit leichter Neigung soweit, bis die Klemme in offener Stellung über das Seil 1 geführt wird. Befindet sich dieses in der Klemmenöffnung, beginnt der Schliessvorgang dadurch, dass das Antriebszahnrad 18 auf die an der Hängebahnschiene 25 montierte Triebstockverzahnung 19 aufläuft. Über die Rutschkupplung 11-13 wird dadurch die Büchse 7 verdreht und die Gewindespindel 6 axial nach rechts verschoben. Sobald die Backen das Seil leicht gefasst haben, wird die Klemme vom Zugseil mitgenommen, rollt dadurch weiter auf der Verzahnung ab und klemmt sich fest. Dies geschieht solange, bis die Klemmbacken 4 und 5 den an der Mutter 14 einstellbaren Klemmdruck erreicht haben. Danach tritt die Rutschkupplung 11-13 in Aktion, so dass sich die Büchse 7 nicht mehr weiter dreht. Beim Entkuppeln fahren die Fahrzeuge wiederum auf eine Hängebahnschiene auf, wobei das Zahnrad 18 von der Triebstockverzahnung 26 erfasst wird. Zwischen dem Zahnrad 18 und der Büchse 7 ist eine nicht gezeichnete Klinkensperre eingebaut, die die Wirkung der Rutschkupplung 11-13 in der Öffnungs-Drehrichtung ausschaltet, damit das Öffnen der Klemme zwangsweise erfolgen muss. Hat die Spindel ihre linke Endlage erreicht, treten anschliessend an die Zahnstange 26 nachgiebige Blattfedern, die das Zahnrad 18 im Stillstand passieren lassen. Auch der erste Zahn der Triebstockverzahnung 26 ist zwecks besserer Einführung des Zahnrades gefedert.
Erstmals zum Einsatz kam der neue Schrauben-Klemmapparat von Müller im Jahre 1950 bei der 2er-Sesselbahn Sattel-Hochstuckli im Kanton Schwyz. Je eine weitere derartige Anlage konnte kurz darauf im Jahre 1951 in den Flumserbergen und in Ste. Croix eröffnet werden. Die Betriebserfahrungen zeigten aber bald, dass die Selbsthemmung des Gewindes alleine keine genügende Sicherheit bot, da die Vibrationen vom Seil ungedämpft auf die Spindeln übertragen wurden und so die Gefahr einer Lockerung der Klemme bestand. Glücklicherweise wurde dieses Manko aber rechtzeitig entdeckt, ohne dass es zu Unfällen gekommen wäre. Sofort wurde die Konstruktion abgeändert und mit einem Tellerfederpaket ergänzt, damit die Klemmkraft weder auf ungenügende Werte absinken noch unzulässig weit ansteigen konnte. Im Jahre 1954 baute die Firma Müller nach ihrem System in Ried bei Brig die erste Gondelbahn mit Kabinen für je vier Personen. Da aber nach einer damaligen Vorschrift pro Klemme nur zwei Personen befördert werden durften, mussten an einen Wiegebalken, der am Gehänge drehbar gelagert war, zwei Schraubenkupplungen montiert werden. Die Konstruktion der Gondelbahn, die sich durch verblüffende Einfachheit auszeichnete, wurde bei allen nachfolgenden Anlagen bis zur letzten Ausführung weitgehend beibehalten, auch das Design der Leichtmetallkabinen blieb stets dasselbe. Lizenzen des Müller' schen Kupplungssystems gingen auch nach Österreich an die Firma Girak und in Deutschland wurde 1957 die im Jahre 1951 in Betrieb genommene Breitenbergbahn in Pfronten mit Müller-Klemmen ausgerüstet. Von den einst zahlreichen kuppelbaren Umlaufbahnen der Firma Müller ist in der Schweiz leider keine einzige Anlage im Originalzustand erhalten geblieben! Die letzte unveränderte Anlage lief in Emmetten und wurde im Frühling 2007 abgebrochen. Einzig die Bahn von Gstaad zum Eggli erinnert heute noch durch die Kuppeltechnik und weitere typische Komponenten in modernisierter Form an die Blütezeit des einst erfolgreichen Seilbahnherstellers aus Dietlikon.
Abb.5: Schnittzeichnung der verbesserten Müller-Klemme 'C' mit dem neu hinzugefügten Tellerfederpaket. Abb.6: Einfachklemme für Zweier-Sesselbahnen auf einer Stationsschiene. Markant ist das zylindrische Gehäuse des Tellerfederpaketes. Abb.7: Die gleiche Sesselbahnklemme ans Seil gekuppelt. Abb.8: Für die Gondelbahnen mit den 4er-Kabinen mussten gemäss den damaligen Vorschriften pro Fahrzeug zwei an einem Wiegebalken zusammengefasste Klemmen verwendet werden. Abb.9: Die erste Vierergondelbahn von Müller, Ried bei Brig-Rosswald, erbaut 1954. Noch entsprechen nicht alle Konstruktionsmerkmale den späteren Ausführungen.
Abb.10: Eine ausfahrende Kabine passiert nach der schrägen Beschleunigungsstrecke die Kuppelstelle. Die Zahnstange, woran sich die Zahnräder der Klemmen abrollen, befindet sich unterhalb der Seilachse. Abb.11: Eine Gondel durchfährt hier die Entkuppelstelle; die Zahnstange befindet sich somit oberhalb der Seilachse. Abb.12: Totalansicht eines Fahrzeuges, wie es bei allen Müller-Gondelbahnen praktisch unverändert eingesetzt wurde. Abb.13: In der Bergstation der Gondelbahn Emmetten-Stockhütte warten Kabinen auf ihren Einsatz. Am linken Bildrand ist am Ende der Hängebahnschiene die Beschleunigungsstrecke mit der Kuppelstelle zu erkennen. Abb.14: Ebenfalls typisch für Umlaufbahnen der Firma Müller sind die T-förmigen Stützen in Fachwerkbauweise, die immer lotrecht montiert wurden. Abb.15: Detailaufnahme einer asymmetrischen 6er-Rollenbatterie an einem Mast.
Fotos: C. Gentil
Die Firma Müller baute in der Schweiz folgende kuppelbare Umlaufbahnen (Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Sesselbahnen | Inbetriebnahme | Bahnlänge | Sektionen |
Sattel - Hochstuckli | 05. 07. 1950 | 1730 m | |
Flumserberge - Maschgenkamm | 30. 01. 1951 | 2075 m | |
Ste. Croix - Les Avattes | 22. 12. 1951 | 1390 m | |
Gondelbahnen | |||
Ried bei Brig - Rosswald | 15. 12. 1954 | 1721 m | |
Gstaad - Eggli | 13. 02. 1955 | 1470 m | |
Reigoldswil - Wasserfallen | 02. 03. 1956 | 1933 m | |
Barboleusaz - Les Chaux | 08. 12. 1956 | 2572 m | |
Leysin - Berneuse | 16. 12. 1956 | 1888 m | |
Haute Nendaz - Tracouet | 20. 12. 1958 | 2260 m | |
Rougemont - La Videmanette | 22. 12. 1959 | 1490 m | 1. Sektion |
Rougemont - La Videmanette | 22. 12. 1959 | 1622 m | 2. Sektion |
Hasliberg - Käserstatt | 30. 01. 1960 | 2380 m | |
Charmey - Vounetse | 03. 06. 1962 | 3151 m | |
Col des Mosses - Pic Chaussy | 09. 02. 1963 | 2270 m | 1. Sektion |
Col des Mosses - Pic Chaussy | 09. 02. 1963 | 1768 m | 2. Sektion |
Moléson Village - Plan Francey | 19. 12. 1963 | 1310 m | |
Gstaad - Höhi Wispile | 1964 | 1823 m | 1. Sektion |
Gstaad - Höhi Wispile | 1964 | 1190 m | 2. Sektion |
Marbach - Marbachegg | 1966 | 1957 m | |
Emmetten - Stockhütte | 1968 | 1520 m | |
Mörel - Greicheralp | 1968 | 2825 m | |
Savognin - Radons | 1969 | 2460 m | 1. Sektion |
Savognin - Radons | 1970 | 2770 m | 2. Sektion |
San Bernardino - Confin Basso | 1970 | 1203 m | |
Sörenberg - Rossweid | 1972 | 1452 m | |
Lenk - Betelberg | 1972 | 1630 m | 1. Sektion |
Lenk - Betelberg | 1972 | 2011 m | 2. Sektion |
Leysin - Mayen | 1972 | 2114 m | |
Saas Grund - Hohsaas | 1978 | 2438 m | 1. Sektion |
Saas Grund - Hohsaas | 1983 | 2039 m | 2. Sektion |